Die Kapelle des Allerheiligsten Sakraments
Die Seitenkapelle der Südseite
Aus welcher Entfernung auch immer man den Blick zur Kapelle des Allerheiligsten Sakraments wendet, in sie hineingeht hinter die Balustraden und von Stuckwerken, Gold und bezaubernden Gemälden umgeben ist, unter denen einige von den erfahrensten Künstlern aus Cremona stammen, wird die Aufmerksamkeit unweigerlich vom wahren Mittelpunkt der Kapelle angezogen: die kleine silberne Tür des Tabernakels.
Mit dem Glanz ihres funkelnden Lichts führt sie sofort zum wertvollsten Schatz der ganzen Kathedrale: die Eucharistie; die wahre Gegenwart Jesu Christi.
Jedes Wort muss hier der Betrachtung des Altarsakraments weichen, das den Menschen zu einer innigen Gemeinschaft mit seinem Meister und Herrn führt.
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Alles nimmt – so könnte man sagen – seinen Anfang beim Herzen Christi, der beim Letzten Abendmahl, am Vorabend seines Leidens, Gott gedankt und ihn gepriesen hat und so durch de Macht der Liebe den Sinn des Todes, dem er entgegenging, verwandelt hat. Die Tatsache, dass das Altarsakrament den Namen «Eucharistie» – «Danksagung» – erhalten hat, bringt genau dies zum Ausdruck: Die Verwandlung der Substanz von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi ist Frucht der Selbsthingabe Christi, Geschenk einer Liebe, die stärker ist als der Tod, der göttlichen Liebe, die ihn von den Toten auferstehen ließ. Und deshalb ist die Eucharistie Speise des ewigen Lebens, Brot des Lebens. Aus dem Herzen Christi, aus seinem «eucharistischen Gebet» am Abend vor seinem Leiden und Sterben, entspringt jene dynamische Kraft, die die Wirklichkeit in allen ihren Dimensionen – kosmisch, menschlich und geschichtlich – verwandelt .
Alles geht von Gott, von der Allmacht seiner dreieinigen Liebe aus, die in Jesus Fleisch geworden ist. In diese Liebe wird das Herz Christi hineingenommen; darum kann er auch angesichts des Verrats und der Gewalt Gott danken und ihn preisen, und verwandelt auf diese Weise die Dinge, die Menschen und die Welt.
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Aus der Predigt von Papst Benedikt XVI am Hochfest des Leibes und Blutes Christi, 23. Juni 2011
Der Bau der „beiden Triumphbögen“ in den Seitenkapellen der Apsis, die links vom Altarraum dem Täufer – oder der Taufe – gewidmet sind, und rechts dem Allerheiligsten Sakrament, fügt sich 1569 in ein Klima ein, das wirkliche Reformabsichten offenbart. Das Projekt für die Kapelle des Täufers stammt von Francesco Dattaro, und die Aufgabe, die Kapelle mit Basreliefs und teilweise vergoldeten Ornamenten zu bereichern wird einem Spezialisten in Stuck-Dekorationen– Giovanni Battista Cambi – anvertraut. Ein Entwurf von Giulio Campi für das Altarbild des Allerheiligsten hilft uns, die Idee der Gesamtform der Strukturen intuitiv zu erkennen, die in der Absicht, zwei „Zwillings“-Kapellen zu gestalten, erdacht wurden. Von dieser ersten dekorativen Phase sind nur noch zwölf Leinwandbilder von Giulio und Bernardino Campi vorhanden, die sich bemühen, in der Ausführung ihrer Werke ihre persönliche Sprache in Einklang zu bringen im Versuch einer gesamten Homogenität.
Erst am Ende des Jahrhunderts wird die Erneuerung der Kapelle des Allerheiligsten Sakraments begonnen nach einem Projekt des Malosso.
Von 1597 stammt der Vertrag mit Angelo Nani für die Ausführung des Werkes, das zweifellos einen bemerkenswerten Ehrgeiz offenbart, wenn man die verschiedenen Bildhauer aus Mailand (unter anderem Antonio Daverio, Pietro Rainaldi, Camillo Cesare Procaccini) für die Vorbereitung der für den Altar vorgesehenen Statuen und Ornamente in Betracht zieht. Werke, die leider aufgrund von Vertragsverletzungen und Verspätungen der Künstler selbst nicht in dieser Kapelle ihren Platz finden: die vier Evangelisten, zum Beispiel, die eigentlich für einen Dialog mit dem Tabernakel vorgesehen waren, kommen in die Kathedrale praktisch am Ende der Arbeiten und werden deshalb im Altarraum in den eigens geschaffenen Nischen aufgestellt.
Auch die Errichtung des Altars erfährt eine Unterbrechung wegen der fehlenden Rückbestätigung von Angelo Nani. Ab 1606 werden die neuen Eingriffe von einem Steinhauer aus Brescia geleitet: Vincenzo Maggi, der den Auftrag erhält, die begonnenen Arbeiten zu vollenden, wofür er die schon vorbereiteten Säulen und Architraven verwenden sollte. Verschiedene Künstler wie Matteo Galletti, Pietro Martire Sabbioneta und der Architekt Rinaldo Cambiaghi arbeiten zusammen mit Maggi unter der Leitung von Giuseppe Dattaro, und ein Vergleich des anfangs mit Angelo Nani abgeschlossenen Vertrags und den verwirklichten Strukturen weist eine grundlegende Konvergenz mit dem ursprünglichen Projekt des Malosso auf.
Erst später, mit dem Wiederbeginn der Arbeiten im Jahre 1612, wird die Frage des Tabernakels, die noch offen war, geklärt und Gegenstand einer wichtigen Diskussion, da man ein Werk realisieren wollte, das wirklich der Mittelpunkt der Kapelle sein sollte.
Es kommen Beispiele und Theorien modernster und schätzenswerter Gestaltungen aus Rom und Mailand, aber die Ansicht des Malosso schafft erneut Klarheit und liefert einen Entwurf, in dem eine Struktur mit zwei Ordnungen vorgesehen ist: ein kleiner, in den Proportionen schlanker Tempel, der für weitere fünf Jahre Steinhauer, Goldschmiede und Bronzearbeiter beansprucht. Zu nennen sind Francesco Manara, der Autor der silbernen Säulen; Servio Levi aus Verona, dem wir den auferstandenen Christus in Bronze auf der Spitze verdanken (1616-1617); die Mailänder Orazio Batalea, der die Kuppel aus Silber gestaltet, Francesco Pobia, der die Türchen aus Silber treibt und Girolamo Morone, der die Sockel und die Kapitelle aus vergoldeter Bronze liefert.