Fresken im Mittelschiff
Der Zyklus der Geschehnisse im Leben der Jungfrau Maria und von Christus
Die Fresken des Mittelschiffes
Interaktive Karte
- Joachims Vision | Begegnung der hl. Anna mit dem hl. Joachim am goldenen TorErstes Feld Nordseite
- Mariä Geburt | Die Hochzeit von Maria und JosefZweites Feld Nordseite
- Die Verkündigung des Herrn | Mariä HeimsuchungDrittes Feld Nordseite
- Die Anbetung der Hirten | Die Beschneidung des HerrnViertes Feld Nordseite
- Die Anbetung der Drei Könige | Die Darstellung des Herrn im Tempel
Fünftes Feld Nordseite
- Die Flucht nach Ägypten | Die Unschuldigen KinderSiebtes Feld Nordseite des Altarraumes
- Das Gespräch mit den Lehrern im TempelAchtes Feld Nordseite des Altarraumes
- Das Letzte AbendmahlAchtes Feld Südseite des Altarraumes
- Die Fußwaschung | Das Gebet im GetsemaniSiebtes Feld Südseite des Altarraumes
- Die Verhaftung Jesu | Jesus vor KájaphasSechstes Feld Südseite
- Die Verhandlung vor Pilatus | Die GeißelungFünftes Feld Südseite
- Die Verspottung Jesu mit der Dornenkrönung | Ecce HomoViertes Feld Südseite
- Jesus nimmt das Kreuz auf seine SchulternDrittes Feld Südseite
- Jesus fällt unter dem KreuzZweites Feld Südseite
- Jesus wird ans Kreuz genageltErstes Feld Südseite
- Die Kreuzigungmeter 9,20 x 12
- Die Kreuzablegung
- Die Auferstehung
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Es ist im Jahre 1506, als man in der Kathedrale damit beginnt, Schönheit an Schönheit zu reihen und jenen Episoden mit raffinierter Kunst Form und Ausdruck zu geben, die wirklich die Etappen der Heilsgeschichte wiedergeben. In diesem Sinne beginnen die Massari – der Laien-Organismus, der sogenannten Fabbrica del Duomo, der die notwenigen Arbeiten beschloss und überwachte – die Idee einer vom Evangelium inspirierten Dekoration des Mittelschiffes zu fördern. Sie richten sogleich das Augenmerk auf die Nischenwölbung der Apsis und die Fläche über dem Triumphbogen. Genau dies sind die beiden ersten Fresken: der Pantokrator, der die Nischenwölbung und das ganze Kirchenschiff überragt und die Verkündigung des Herrn. Sie geben auf diese Weise dem Bereich der Apsis eine perfekte theologische Vollkommenheit, indem sie, eben in den Darstellungen der Menschwerdung und der Richterrolle von Christus, den Beginn und den Abschluss der Heilsgeschichte darstellen.
Diese Fresken eröffnen das, was in den fünfzehn folgenden Jahren die sogenannte Biblia Pauperum, die „Bibel der Armen“, die noch heute in der, das Herz berührenden, Sprache der Kunst die Geschehnisse im Leben der hl. Jungfrau und Jesu Christi erzählt, in einer Aufeinanderfolge von Szenen, welche die grundlegenden Episoden unseres Glaubensbekenntnisses behandeln.
Im Verlauf der Jahrhunderte haben diese Wände tagtäglich unseren Glauben erzählt und Generationen von Gläubigen erbaut, die in dieser Kirche wirklich ein Fenster sehen, das sich zum Himmel öffnet. Man sieht sofort in der Nischenwölbung der Apsis Christus als Richter in seiner Majestät und Göttlichkeit, wenn er, als Herr der Zeit und der Geschichte, auf den Wolken des Himmels wiederkommen wird, “zu richten die Lebenden und die Toten”. Auf der gegenüberliegenden Wand, auf der Rückfassade – wo eine der letzten Episoden ausgeführt ist – finden wir ihn auf einem Thron, von dem er die ganze Menschheit erlöst durch seine Selbsthingabe: das Kreuz. Zu ihm gelangt man, nachdem der Blick über all jene Geschehnisse auf der Wand des Mittelschiffs geschweift ist, die als zentrale Gestalten zunächst die Eltern von Maria, dann die Jungfrau selbst und schließlich das Leben und das Leiden unseres Herrn haben, und somit eine perfekte Synthese der Heilsgeschichte bilden.
Und endlich bewundern wir unter dem großen Zyklus, eingeführt vom Autor der letzten Szenen der Passion und der Rückfassade und vervollständigt von anderen Malern mehr als eines halbes Jahrhundert später, die Darstellungen Jener, die vor langer Zeit das Kommen Christi präfiguriert haben: die Propheten, die mit ihren Schriftrollen in den Rundbildern zwischen den großen Bögen die Szenen zu stützen scheinen, die das Neue Testament erzählen.
Viele sind die Autoren, die zur Verwirklichung dieser enormen malerischen Dekoration beitragen werden, alle ausgewählt von den Massari mit dem Kriterium des Besten was der künstlerische Markt jener Zeit anzubieten hatte, und nicht nur in Cremona.
Als Erster beschäftigt sich mit dem Zyklus Boccaccio Boccaccino, der sich 1506/1507, aus Venedig zurückgekehrt, der Nischenwölbung der Apsis widmet und der Anfrage der Massari entspricht, “unseren Gott und höchsten Herrn” in der feierlichen Figur des Pantokrator, des Christus als gerechten Richter, zu malen, indem er ihn darstellt in einem Bild, das mehr seinen übernatürlichen Ausdruck hervorhebt als seine Menschheit und ihn in der Größe seiner Göttlichkeit bei seinem glorreichen Wiederkommen am Ende der Zeiten verherrlicht. Eine Feierlichkeit, die in diesem Bild betont wird durch den goldenen Hintergrund, den Boccaccino noch in den Augen hat von den Basiliken der Republik Venedig und durch die Anwesenheit der heiligen Schutzpatrone der Stadt (von links: Marcellino, Imerio, Omobono, Pietro Exorzist), zusammen mit den Symbolen der Evangelisten.
Gleich danach verwirklicht Boccaccino die Verkündigung über dem Triumphbogen, in einer so hohen Position im höchsten Punkt des Kirchenschiffes, dass sie noch mehr hervorhebt, wie sehr dieser Moment den Beginn der Heilsgeschichte darstellt, die mit dem glorreichen Wiederkommen unseres Herrn vollendet wird, so wie wir ihn in der Nischenwölbung der Apsis betrachten. Ein außergewöhnlich elegantes Werk, um den so sanften Moment der Menschwerdung, als der Vater, den wir in der Mitte der Szene erblicken, während er den Heiligen Geist in Form einer Taube ausgießt – fast als wolle man bildlich die ursprüngliche Idee der Massari des Allerhöchsten Gottes wiederaufgreifen – und im Sohn unsere menschliche Natur annimmt.
Wiederum Boccaccio Boccaccino beschäftigt sich 1514-1515, zurück aus Rom, mit dem Projekt der Dekorierung des Mittelschiffes – wo er jeden großen Bogen einfasst, indem er ihn in zwei von fingierten Lisenen getrennten Rahmen zerteilt – und bemalt die ersten Felder der nördlichen Wand (vom Eingang her links) mit Fresken, welche die aus den apokryphen Evangelien stammenden Episoden des Lebens der hl. Jungfrau darstellen, mit Bezugnahme auf die Eltern von Maria (die Vision von Joachim und die Begegnung von Joachim und Anna am golden Tor) und dann Mariä Geburt und die Hochzeit von Maria und Josef.
Von da an verflechten sich natürlich die Ereignisse im Leben von Maria mit jenen von Jesus, weshalb sich in einer Aufeinanderfolge die Fresken der Verkündigung des Herrn, Mariä Heimsuchung, Christi Geburt und die Beschneidung des Herrn begegnen, das letzte Feld, mit dem sich Boccaccino zunächst befasst.
Der ausgeglichene Ausdruck der Komposition, den sich dieser große Maler aus dem „geordneten Rhythmus von Mittelitalien“ in den Beispielen von Raffaello und Perugino angeeignet hat, und die kluge Wahl der Farben, die er in der vorherigen Erfahrung in Venedig verfeinert hat, zusammen mit der Kenntnis der meisterhaften graphischen Werke von Albrecht Dürer, machen aus ihm den ersten Protagonisten der Sorgfalt und der Aufmerksamkeit, mit der die Massari ihre Wahl des stets Besten für die Verschönerung und die Pflege des Domes trafen.
In den folgenden Szenen finden wir zwei neue Autoren der darauffolgenden Generation: Gianfrancesco Bembo, der die Anbetung der Drei Könige und die Darstellung des Herrn im Tempel malt, und Altobello Melone, dem wir auch auf der südlichen Wand begegnen werden, und dem wir die Flucht nach Ägypten und die Unschuldigen Kinder verdanken. Im letzteren Werk beginnt man, ein wachsendes Pathos wahrzunehmen in der Komposition und im Gesichtsausdruck der Personen, wie wir nach und nach in den folgenden Szenen der Passion sehen werden.
Die nördliche Wand wird erneut von Boccaccino abgeschlossen mit einer Episode aus der Kindheit Jesu, das Gespräch mit den Lehrern im Tempel: in diesem Fall ist der große Bogen nicht in zwei Rahmen unterteilt, sondern die Szene nimmt den ganzen Platz der Mauer ein. Boccaccino führt zwei weitere Szenen aus auf einer geeinten Oberfläche im Presbyterium: Die Taufe des Herrn und der Einzug in Jerusalem, die beide ein halbes Jahrhundert später zerstört wurden, um die beiden großen Fenster an den Seiten der Tafel des Hochaltares zu öffnen.
Jetzt öffnet sich, beginnend im Bereich des Presbyteriums, die südliche Wand, auf der wir die Szenen der Passion von Christus sehen werden. In einer steigenden Intensität der künstlerischen Ausdruckskraft, mit dramatischen Tönen in den Werken des Golgatha, wechseln sich verschiedene Künstler in diesen Arbeiten ab.
Altobello Melone widmet sich dem Letzten Abendmahl (auch hier belegt eine einzige Szene den ganzen großen Bogen), der Fußwaschung, das Gebet im Getsemani; dann noch die Verhaftung Jesu und Jesus vor Kájaphas. Ein Malstil, der sich immer mehr als modern erweist sowohl in der Komposition als auch in dem Versuch, das wachsende Pathos der abgebildeten Themen mit den malerischen Werkzeugen zu unterstreichen: von den hervorstechenden Figuren bis zu den chromatischen Dissonanzen voller erstaunlich leuchtendem Licht.
Das Unternehmen des Altobello wird an diesem Punkt unterbrochen zugunsten eines anderen großen Malers aus Brescia, Girolamo Romanino: wir sind im Jahre 1519. Die Massari suchen ständig neue herausragende Künstler für die Arbeiten im Dom und Romanino wird ein neues Projekt anvertraut anstelle von jenem des Boccaccino, um die Arbeiten im Kirchenschiff und an der Rückfassade beenden zu können. Er kann jedoch nur vier Szenen ausführen: Die Verhandlung vor Pilatus, die Geißelung, die Verspottung Jesu mit der Dornenkrönung und Ecce Homo. Seine Ankunft entzündet die Wände der Kathedrale mit einer nie zuvor gesehenen Farbenpalette, im Stile von Tizian, in einer Komposition, in welcher man davon berührt wird wie die Grausamkeit der auferlegten Strafen immer von der sanftmütigen Annahme von Christus begleitet ist. Bedeutend ist die häufige Verlegung der Szenen in Umgebungen der Zeit des Autors durch perspektivisch verkürzte Darstellungen, Loggias – wie beim Ecce Homo – oder weiter noch durch Einfügung von Personen, die im Stile des sechzehnten Jahrhunderts gekleidet sind, sehr wahrscheinlich Portraits der Prominenz des damaligen Cremona.
An diesem Punkt, im Jahre 1520, kommt in die Kathedrale – auf Kosten des Romanino, der mit einem bürokratischen Betrug ausgeschlossen wird – eine Figur der Avantgarde im Panorama der Valpadana, welche die Massari vom Hinterland Venetiens herbeirufen: Giovanni Antonio de Sacchis, genannt il Pordenone, der in den Urkunden als pictor modernus bezeichnet wird. Mit ihm erreicht die Dramatik der letzten Szenen der Passio ihren Höhepunkt. In der Verurteilung durch Pilatus , im Fall unter dem Kreuz, als Jesus ans Kreuz genagelt wird, und schließlich in der riesigen Kreuzigung, offenbaren die gequälten und beinahe deformierten Gesichter, zwischen Licht und Schatten, den Schmerz dieser schrecklichen Momente. In seinem Werk berühren sich die Farbgebung Venetiens und der Ausdruck Michelangelos in den Figuren, die vom künstlerischen Standpunkt her gesehen in ihrer Dynamik und Ausdruckskraft wirklich eine Wende anzeigen, so sehr, dass man die Augenblicke der Passion nicht besser hätte darstellen können.
Sehr evangelisch die Kreuzigungsszene in ihrer Komposition, die in den Zeichen des wolkenbedeckten, dunklen Himmels (“eine Finsternis brach über das ganze Land herein”), im großen Spalt in der Erde (“die Erde bebte”), in den Figuren des Söldners, der dem Verbrecher die Beine zerschlägt, oder in Longino, der, zum Herrn am Kreuz hochblickend, wirklich zu sagen scheint: “Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!”, getreu das Evangelium in jedem Detail wiedergibt.
Die Szene ist zugleich vom Pordenone in seine Zeit verlegt, die sich zum Beispiel in den bewaffneten Figuren wiederspiegelt, wie der riesige Landsknecht im Vordergrund, der mit einer Hand auf Christus am Kreuz hinweist, während er mit der anderen sein enormes Schwert hält, das typisch für jene Zeit war: wir sind im ersten Viertel des sechszehnten Jahrhunderts, Zeit der Kriege Italiens, als auch die Lombardei Schauplatz grausamer Kriege zwischen den Heeren war. Die damalige Zeit wird auch von den orientalischen Kostümen dargestellt, mit denen der Autor Jene ausstattet, welche die grausamen Personen symbolisieren, die zur Kreuzigung des Herrn geführt haben, die Juden.
Der Zyklus schließt sich auf der Rückfassade mit der Kreuzablegung – ebenfalls vom Pordenone, zu Ehren von Mantegna und Bramantino, mit Christus nach den Regeln der Perspektive – und der Auferstehung, ein Werk des Bernardino Gatti, einige Jahre später ausgeführt (1529). Jetzt zeigt uns diese imposante dekorative Anlage, die uns von den Ereignissen im Leben Mariens über die Passion und das Kreuz zur Auferstehung geführt hat, die wahre Botschaft: Christus, der gestorben ist, um uns alle mit dem Vater zu versöhnen, ist in Wirklichkeit der Herr des Lebens, der den Tod endgültig besiegt hat, denn “Er ist wahrhaftig auferstanden” und wir alle können auf sein Erbarmen als gerechter Richter hoffen.
Unsere kurze Reise endet in der zu Recht genannten “Sixtina der Lombardei” aufgrund ihres Charakters von außerordentlichem künstlerischen, in jener Epoche einzigartigem Wert, zumindest in diesem Teil Italiens, da in ihr das Beste der Kunst der Poebene versammelt wurde und weil die rasante Entwicklung der Malerei des ersten Viertels des sechzehnten Jahrhunderts in klarer Weise verständlich gemacht wurde, im Zeichen der Modernität und des Willens, stets die höchste Qualität zu erreichen in einem Horizont der Öffnung zu den großen künstlerischen Tendenzen der Zeit. Eine kurze Reise, die sich, während sie uns vom künstlerischen Standpunkt her fasziniert, auch als echte Katechese offenbart hat, die mit der Sprache der Schönheit nochmals, wie an jedem Tag in den letzten fünf Jahrhunderten, von den Glaubenswahrheiten gesprochen hat, hinter denen wir zweifelsohne stehen.